Der Landbote, 31. Mai 2023
Der VESO und seine Vorgängervereine setzen sich seit über 50 Jahren für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und/oder sozialen Schwierigkeiten in der Region Winterthur ein. Was ist Ihre persönliche Motivation für Ihr starkes Engagement?
Hans Peter Haeberli: Psychische Krankheiten betreffen in der Schweiz rund jede fünfte Person und werden trotzdem oft verschwiegen. Das Thema ist schambehaftet, wird teilweise immer noch tabuisiert. Meine Hoffnung ist, dass psychische Beeinträchtigungen künftig auf grössere Akzeptanz stossen werden und das Normalitätsprinzip nicht nur in Institutionen wie dem VESO, sondern in der gesamten Gesellschaft Fuss fasst.
Diego Farrér: Nutzen zu stiften für die Betroffenen und für unsere Gesellschaft treibt mich an. Menschen mit psychischer Beeinträchtigung sind so verschieden wie wir alle. Auf die unterschiedlichen Bedürfnisse antwortet der VESO mit einer beeindruckenden Vielfalt an unterschiedlichen Beschäftigungs-, Arbeits- und Wohnplätzen. Diese Angebotsvielfalt und die engagierten, professionellen Fachmitarbeitenden des VESO begeistern mich. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte des VESO, dass die Institution immer wieder neue, wertvolle und bedürfnisorientierte Angebote für die Betroffenen entwickelt.
Welches sind Ihre persönlichen Highlights in der Geschichte des VESO?
Hans Peter Haeberli: Mich bewegen letztlich die Begegnungen mit Menschen und wenn Betroffene durch den VESO wertvolle Unterstützung in ihrem Alltag erfahren. Da gibt es unzählige solcher Highlights. Auf Institutionsebene war die Fusion der beiden Vorgängervereine, des 1973 gegründeten Vereins für therapeutische Wohngemeinschaften und des 1989 gegründeten Vereins für Sozialpsychiatrie Winterthur und Umgebung, im Jahre 2000 ganz wichtig. Dieser Zusammenschluss und die Bündelung der Kräfte legte den Grundstein für die spätere erfolgreiche Weiterentwicklung des VESO.
Einen der wohl bedeutendsten Meilensteine in seiner Geschichte kann der VESO pünktlich zu seinem 50-Jahr-Jubiläum setzen: So konnte der VESO per 1. Januar 2023 vom Kanton Zürich die kantonale Werkstatt Hardundgut übernehmen. Die Übernahme des Betriebs mit 50 Arbeitsplätzen und den neuen Abteilungen Gartenbau und Gartenbrockenhaus in Embrach erweitert das bereits grosse und vielfältige Angebot an Beschäftigungs-, Wohn- und Arbeitsplätzen des VESO in der Stadt und Region Winterthur nochmals ganz stark. Welche Chancen und Risiken sind damit verbunden?
Diego Farrér: Uns bietet die Übernahme von Hardundgut die Möglichkeit, das agogische Angebot und den sozialpsychiatrischen Wirkungskreis des VESO über die Winterthurer Stadtgrenze hinaus in die Region hinaus zu erweitern. Bereits jetzt fährt der VESO eine Mehr-Standorte-Strategie – die Werkstätten und Wohngemeinschaften befinden sich in verschiedenen Quartieren. Für den VESO ist es ein grosser Gewinn, dass wir dank der neuen Klientinnen und Klienten und der engagierten Fachmitarbeitenden unser Angebot erweitern und zugleich bestehende Bereiche stärken können.
Am 1. Januar 2024 tritt im Kanton Zürich das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Damit erhalten Menschen mit einer Beeinträchtigung grössere Freiheit bei der Wahl der Wohn- und Betreuungsform. Wie definiert der VESO den Begriff «Selbstbestimmung»?
Diego Farrér: Selbstbestimmung ist bei uns insofern stark verankert, als dass die Klientinnen und Klienten aus einer grossen Vielfalt an Angeboten im Wohn-, Beschäftigungs- und Arbeitsbereich auswählen können und der Alltag nach den Grundsätzen der Stärkung der Autonomie, Mitwirkung und Selbstbestimmung ausgerichtet ist. Selbstbestimmung stösst für uns dort an eine Grenze, wo andere Menschen mit ins Spiel kommen. In einer Wohngemein-schaft oder in einem Arbeitsverhältnis kann ich nicht einfach tun und lassen, was ich will. Selbstbestimmung hat also immer da ihre Grenzen, wo die Rechte von anderen berührt werden.
Hans Peter Haeberli: Das Gesetz zielt ja auf Selbstbestimmungsrechte ab – dazu gehört auch ein Anrecht auf Hilfe. Das neue Selbstbestimmungsgesetz hält fest, dass Menschen mit Behinderung, die auf Unterstützung angewiesen sind, selbst entscheiden können, ob sie zu Hause begleitet und betreut werden möchten oder in einer Institution. Die Umsetzung des Gesetzes wird mit dem neuen System SEBE geschehen. Menschen mit Behinderung erhalten nach einer Abklärung ihres Bedarfs einen SEBE-Voucher, mit dem sie Unterstützung beziehen können.